Momentum-Aktien

Update zur Momentum-Forschung (2019 bis 2024)

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September 2024

Der Momentum-Effekt besagt, dass die stärksten und schwächsten Aktien ihre Bewegungen relativ zum Markt für eine bestimmte Zeit fortsetzen. Das Ganze ist seit mehr als 30 Jahren in der Forschung dokumentiert. Trotzdem scheint der Effekt weiterhin zu bestehen. Auch deshalb wird Momentum häufig als eine der wichtigsten Anomalien im Hinblick auf die Hypothese effizienter Märkte bezeichnet. Dieses Update beinhaltet einige der interessantesten Studien der letzten 5 Jahre.

Die aktuellste Zusammenfassung liefert das im Jahr 2023 veröffentlichte Paper „Momentum: Evidence and Insights 30 Years Later“ von Narasimhan Jegadeesh und Sheridan Titman. Die beiden Forscher hatten den Effekt im Jahr 1993 als erste dokumentiert. Sie zeigten damals, dass US-Aktien, die sich über 3 bis 12 Monate am besten (am schlechtesten) entwickeln, dazu neigen, auch in den folgenden 3 bis 12 Monaten gut (schlecht) zu performen. Viele spätere Untersuchungen haben den Effekt weltweit für weitere Märkte bestätigt. Allerdings gibt es Ausnahmen in Asien.

Die Autoren schreiben, dass sich die Erklärungen für Momentum in 3 große Kategorien einteilen lassen:

  • Data-Mining (Vorwurf, der Effekt sei aus den Daten „geschürft“, aber kein real nutzbarer Vorteil)
  • Risikoprämien (rationale Erklärung, höhere Renditen werden durch höhere Risiken verursacht, im Einklang mit effizienten Märkten)
  • Verhaltenstheorien (irrationale Erklärung, zum Beispiel Unterreaktion der Kurse auf Informationen, widerspricht effizienten Märkten)
     

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Weiterer Out of Sample Test

In der Studie berechnen die Forscher Momentum-Renditen für den Zeitraum von 2000 bis 2020. Die Ranking-Periode beträgt dabei 11 Monate mit einem anschließenden Skip-Monat, um kurzfristige Reversals zu vermeiden. Dann werden gleich gewichtete Long-Short-Portfolios aus den Top bzw. Flop 10 Prozent der Aktien gebildet und monatliche Momentum-Renditen berechnet. Die Analyse liefert einen weiteren Out-of-Sample-Nachweis des Momentum-Effekts. Die Autoren schließen Data Mining aufgrund vielfacher Nachweise als Erklärung aus.

 

 

Momentum-Renditen in verschiedenen Ländern. Zeitraum: Januar 2000 bis Dezember 2020 (mit teils unterschiedlicher Anzahl berücksichtigter Monate aufgrund mangelnder Daten in einigen Ländern). Quelle: Jegadeesh, N. / Titman, S. (2023), Momentum: Evidence and Insights 30 Years Later

Risikoprämie vs. Verhaltenseffekt

Doch wie steht es um die risikobasierte Erklärung von Momentum-Renditen? In einem effizienten Markt würden Aktien mit höherem Risiko auch höhere Renditen erzielen. Sind die Gewinner also riskanter als die Verlierer, wäre eine anhaltende Momentum-Risikoprämie zu erwarten. Doch die Forscher kamen schon in ihrem 1993er Paper zu dem Ergebnis, dass Gewinner ein geringeres Beta aufweisen als Verlierer. Das CAPM kann Momentum also nicht erklären. Spätere Studien zeigten, dass auch die Betas für Size und Value bei Gewinneraktien in den USA kleiner sind als bei Verliereraktien. Eine andere Erklärung könnten im Zeitablauf variable Risikoprämien sein. Den Autoren zufolge können solche Modelle die Stärke des Momentum-Effekts aber nicht erklären.

Bleiben noch die verhaltensbasierten Erklärungen. Dazu gibt es inzwischen umfangreiche Literatur, die sich überwiegend mit einer Unterreaktion von Marktteilnehmern auf Informationen befasst. Den Forschern zufolge passt diese Erklärung am besten zu den dokumentierten Momentum-Renditen. Demnach gibt es zahlreiche Belege für Unterreaktionen auf fundamentale Nachrichten. Beispielsweise fällt ein großer Teil der Momentum-Gewinne rund um die Bekanntgabe von Quartalszahlen an. Auch Analysten scheinen ihre Gewinnschätzungen auf Grundlage bekanntwerdender Informationen nicht ausreichend stark anzupassen.

Die Studie plädiert für die verhaltensbasierte Erklärung von Momentum-Renditen. Aus meiner Sicht ist der risikobasierte Ansatz aber nach wie vor nicht vom Tisch. Denn seltene, aber dafür verheerende Momentum-Crashs wie im Jahr 2009 können durchaus dabei helfen zu erklären, weshalb der Effekt eine hohe Prämie ermöglicht.

 

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Überblickstudie aus dem Jahr 2018

Ein vergleichbares Paper, das einen Überblick zum Momentum-Effekt bot, wurde bereits 5 Jahre zuvor veröffentlicht: „Equity Market Momentum: A Synthesis of the Literature and Suggestions for Future Work“ von Avanidhar Subrahmanyam. Aufgrund von Überschneidungen können wir uns hier kürzer fassen. Praxisrelevant ist vor allem die Erkenntnis, dass Momentum-Ansätze mit einer hohen Anzahl von Ranking- und einer niedrigen Anzahl von Halte-Monaten das Renditespektrum dominieren. Zudem bringt auch diese Studie den Momentum-Effekt mit einer schwachen Form der Kapitalmarkteffizienz in Verbindung, bei der vergangene Preise eine Rolle spielen. Mögliche Erklärungen unterteilt der Forscher in drei Kategorien:

  • reine Unterreaktion
  • anhaltende Überreaktion
  • im Zeitablauf variable Risikoprämien 

Weitere aktuelle Studien

Neben diesen beiden Papers gab es in den letzten Jahren eine ganze Reihe weiterer Untersuchungen. Einige davon werden nachfolgend kurz auf den Punkt gebracht.

  • „Empirical Determinants of Momentum: A Perspective From International Data“ (2024): Anleger reagieren kaum auf Informationen, die in kleinen Stücken statt in großen Brocken eintreffen. Deshalb liegt die „Frog in the Pan“ Erklärung für Momentum nahe. Sie besagt, dass sich langsame, stetige Veränderungen der Umwelt akkumulieren, aber längere Zeit kaum wahrgenommen werden.
  • „Narrative Momentum“ (2024): Narrative werden unterschätzt. Aus dem Paper geht hervor, dass Portfolios, die einem Narrativ mit zuletzt steigender Intensität zugehören, Portfolios mit abnehmender Intensität risikobereinigt um etwa 8 Prozent pro Jahr übertreffen. Auch Analysten reagieren zu wenig auf Aktien mit starkem Narrativ.
  • „Trended Momentum“ (2024): Aus dieser Studie geht hervor, dass der Praktiker eben doch auf den Chart schaut. Klare Trends während der Ranking-Periode sind demnach ein wichtiger Einflussfaktor auf die erzielte Momentum-Rendite. Um die Wahrnehmung von Trends durch Anleger zu erfassen, verwenden die Forscher das Bestimmungsmaß R2.

Dargestellt sind zwei verschiedene Pfade, die zu einer Gesamtrendite von 52 Prozent führen. Aktien mit klarem Trend signalisieren dabei bessere Chancen auf eine Fortsetzung als Aktien mit sprunghaftem, volatilem Verlauf. Quelle: Cai, C. X. / Li, P. / Keasey, K. (2024), Trended Momentum

 

 

Die Alphas von Aktien mit klarem Trend sind eindeutig höher. Als Maß für die Trendklarheit wird das Bestimmungsmaß über 12 Monate verwendet. Quelle: Cai, C. X. / Li, P. / Keasey, K. (2024), Trended Momentum


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  • „Same-Weekday Momentum“ (2024): Saisonale Effekte sowie der konzentrierte Handel institutioneller Anleger sind wichtige Teile des Aktienmomentums. Diese Schlussfolgerung basiert auf dem Ergebnis der Forscher, dass Momentum stark auf einer Fortsetzung der Renditen derselben Tage in vorherigen Wochen beruht. Netto trägt derselbe Wochentag demnach zwischen 20 und 60 Prozent des Gesamt-Momentums bei.
  • „Factor Momentum in Commodity Futures Markets“ (2023): Ähnlich wie bei Aktien gibt es bei Rohstoff-Futures ein Faktor-Momentum, also ein prozyklisches Verhalten von Faktoren (Value, Size etc.) selbst. Auf dem Zeithorizont von 1 Monat ist es am stärksten. Die Autoren führen kurzfristige Fehlbewertungen der Faktor-Prämien als Erklärung an, die nicht sofort korrigiert werden, weil Arbitrageure das aktive Eingehen von Faktor-Risiken vermeiden.
  • „Factor Momentum Versus Stock Price Momentum – A Revisit“ (2023): Trotz des Faktor-Momentums auf der Metaebene ist der klassische Momentum-Effekt ein eigenständiger Faktor. Außerdem scheint es der dominante Effekt zu sei. Denn Momentum fängt einen großen Teil der durchschnittlichen Gewinne des Faktor-Momentums ein und erklärt es damit besser als in der umgekehrten Betrachtung.
  • „Anomalies at Any Time in Any Place? Momentum, Reversal and Size Around the World in the Early Twentieth Century“ (2023): Momentum ist in 8 Märkten im Zeitraum von 1900 bis 1925 nachweisbar, nicht aber das langfristige Reversal. Die Autoren schlussfolgern deshalb, dass die Unterreaktion der entscheidende Aspekt verhaltensbasierter Erklärungen zum Momentum-Effekt ist.
  • „A Look Under the Hood of Momentum Funds“ (2022): In der Querschnittsbetrachtung bringen Momentum-Fonds keinen Vorteil. Risikobereinigt sind deren Renditen im Durchschnitt negativ. Zudem wird der größte Teil der Volatilität durch den Marktfaktor erklärt. Für Anleger, die bereits auf die Fama-French-Faktoren setzen, verbessert sich die Performance durch diese Fonds nicht.
  • „Overlapping Momentum Portfolios“ (2022): Ein schlüssiger Ansatz zur Optimierung von Momentum-Strategien. Die Untergruppe von Momentum-Aktien, die der Schnittmenge der Rankings über die vergangenen 6 und 12 Monate entspricht, sind besonders rentabel.
  • „Short-term Momentum“ (2022): Kurzfristiges Momentum über eine Ranking-Periode von nur 1 Monat ist bei Large Caps profitabel, wenn das Handelsvolumen überdurchschnittlich hoch ist. Geringes Volumen deutet dagegen auf kurzfristige Reversals hin. Kurzfristiges Momentum hat außerdem ein geringeres Crash-Risiko als klassisches Momentum.

 

Es gibt bei 1-Monats-Renditen sowohl Reversals (niedrigstes Umsatz-Dezil) als auch Momentum (höchstes Umsatz-Dezil). Gewichtung innerhalb der Portfolios nach Marktkapitalisierung. US-Aktien, Juli 1963 bis Dezember 2018. Quelle: Medhat, M. / Schmeling, M. (2022), Short-term Momentum

 

  • „Caught by Surprise: How Markets Respond to Macroeconomic News“ (2022): Makro-Überraschungen verhalten sich nicht zufällig. Vielmehr sind sie kurzfristig positiv autokorreliert. Man kann von „Economic Surprise Momentum“ sprechen, das sich auch auf die Kurse auswirkt. Konsens-Prognosen weisen im Vergleich dazu eine Unterreaktion auf.
  • „Decomposing Momentum: The Forgotten Component“ (2022): Statt der Gesamtrendite über die Ranking-Periode verwendet diese Studie die Maximalrenditen bis zum Hoch innerhalb dieses Zeitraums. Das erklärt bereits 84 Prozent der späteren 1-Monats-Momentum-Rendite. Mittels dieses Momentum-Echos könnten sich profitablere Strategien entwickeln lassen.
  • „Momentum? What Momentum?“ (2021): Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Momentum-Effekt viel schwächer sein könnte als bislang angenommen. Die Analyse basiert aber auf einer alternativen Ermittlung des Momentums auf Einzeltitelbasis mittels erwarteter Renditen, was umstritten ist.
  • „Are Momentum Strategies Profitable? Recent Evidence from European Markets“ (2019): Es werden 575 Momentum-Strategien in neun europäischen Ländern im Zeitraum von 1989 bis 2018 untersucht. In allen Ländern lassen sich positive Momentum-Renditen nachweisen.

 

 

Dargestellt sind die durchschnittlichen Renditen verschiedener Momentum-Portfolios am deutschen Aktienmarkt (Zeitraum: Dezember 1989 bis Januar 2018). Quelle: Slabchenko, A. (2019), Are Momentum Strategies Profitable? Recent Evidence from European Markets

 

  • „Twin Momentum: Fundamental Trends Matter“ (2019): Zeitreihen wichtiger Fundamentaldaten von Unternehmen weisen Momentum auf. Eine Long-Short-Strategie der Top & Flop 20 Prozent fundamentaler Trends ergibt eine mittlere monatliche Rendite von 0,88 Prozent. Bei Kombination mit klassischem Kurs-Momentum ergibt sich ein Twin Momentum, das besonders profitabel ist.

 

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